Punktwolke des Stadtplatzes von Steyr

Bauen über die eigene Zeit hinaus

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich alles beschleunigt: Zyklen, Karrieren, Kommunikation, Hoffnungen. Der Maßstab des Handelns ist oft die eigene Lebensspanne – oder noch kürzer: das Projekt, das Kalenderjahr oder die Logik des nächsten Quartals. Wer heute etwas beginnt, will es selbst noch erleben, abschließen, feiern. Die Idee, dass ein Werk, ein Unternehmen, ein Gebäude über das eigene Leben hinaus Bedeutung entfaltet, ist selten geworden – fast anachronistisch.

Doch es gab und gibt sie, diese andere Haltung: das generationenübergreifende Denken. Es findet sich dort, wo Menschen nicht nur an sich, sondern an Kontinuität glauben – in bestimmten Familien, in Stiftungen, in der Landwirtschaft, in Ordensgemeinschaften oder lokalen Initiativen. Es verlangt Geduld, Maß, Verantwortung – und ein tiefes Vertrauen darauf, dass der Sinn eines Handelns sich nicht sofort erfüllen muss.

Wenn es einen Bereich gibt, in dem diese Haltung konkret und wirksam werden kann, dann ist es die Architektur. Denn wer baut, greift in Raum und Zeit ein. Er setzt etwas in die Welt, das bleiben soll – nicht für einen Hype, sondern für Jahrzehnte, für Generationen. Der Bestand, das Weiterbauen, die Arbeit mit dem Vorgefundenen: All das ist keine nostalgische Geste, sondern ein kultureller Gegenentwurf zur rastlosen Verwertungslogik.

Der Stadtplatz von Steyr – ein zögerndes Herz

Man sieht es vielen Städten an: Ihr Zentrum ist müde geworden. Auch Steyr bildet da keine Ausnahme. Der Stadtplatz, einst Handelsplatz, Bühne, Begegnungsraum, ist heute oft mehr Kulisse als Kern. Geschäfte stehen leer, Häuser warten auf Käufer. Zwar gibt es am gegenüberliegenden Ennsufer eine gut genutzte Parkgarage mit direktem Zugang über den Steg – doch wer gezielt einkaufen will, fährt meist ins Einkaufszentrum: bequem, vollversorgt, wettergeschützt. Der Stadtplatz hingegen hat viel von seiner einstigen Vielfalt eingebüßt. Die Geschäfte sind gewandert, mit ihnen ist auch das Leben weitergezogen. Wenn die Sonne scheint, füllen sich die Schanigärten – aber wer kommt schon, wenn er nichts braucht?

Damit sich das ändert, braucht es mehr als Parkplätze: Es braucht neue Gründe, um zu bleiben. Eine höhere Aufenthaltsqualität, vielfältige Nutzungen, kulturelle Impulse – eine Vision, die wieder Lust auf Stadt macht. Doch gerade hier beginnt die Schwierigkeit: Investor:innen zögern. Die Banken raten ab. Zu komplex, zu teuer, zu unsicher. Und doch – wer in Steyr lebt, weiß es: Der Stadtplatz ist nicht erledigt. Er ist das emotionale Herz der Stadt. Noch immer.

Aufruf zur Vision

Was fehlt – und gerade jetzt gebraucht wird – ist eine Vorstellung davon, was dieser Platz sein kann. Nicht nur morgen oder bis zum Ende der nächsten Förderperiode, sondern in zehn, zwanzig, fünfzig Jahren. Eine langfristige Perspektive, die über Einzelmaßnahmen hinausweist und sich aus dem Erbe nährt: aus der Kraft des Ortes, seiner städtebaulichen Klarheit und der sozialen Nähe, die ihn einst lebendig gemacht hat.

Weiterbauen heißt: das Vorgefundene ernst nehmen – räumlich, materiell, geistig. Es ist ein stiller Widerstand gegen die Vorstellung, dass jede Generation bei null beginnt. Wir sind nicht Anfang, nicht Ende – sondern Teil einer Folge. Architektur kann diese Haltung sichtbar machen: durch Respekt, Maßstab, Geduld und eine Sprache, die den Ort nicht überredet, sondern fortschreibt.

Was es braucht, ist ein neuer Begriff für eine alte Idee: den Superplatz – gedacht als Steyrer Variante des „Superblocks“. Kein bloßes Verkehrsprojekt, sondern ein gemeinsamer städtischer Raum mit hoher Aufenthaltsqualität, klaren Prioritäten für Fußgänger:innen, klimatischer Resilienz und einer Vielfalt an Nutzungen. Ein öffentlicher Raum, der nicht nur funktioniert, sondern verbindet. Der Stadtplatz kann ein solcher Superplatz sein – wenn wir ihn gemeinsam denken, gestalten und beleben. Jetzt.